MM: Das Geldspielgesetz ist ein Unsicherheitsgesetz

Liebe Medienschaffende,

Immer wieder behaupten Akteure des Geldspielgesetzes, Netzzensur sei nötig um Schweizer Recht auch im Internet durchzusetzen. Sie behaupten insbesondere, dass in diesem Fall eine Informationsseite angezeigt würde, die legale Alternativen aufzeigen könnte.

Immer mehr Experten (wie Bernie Hoeneisen des Internet-Standardisierungsgremiums IETF: https://www.watson.ch/Digital/Schweiz/931923761-Darum-sind-Geldspielgesetz-und-Internet-Sperren-viel-gefaehrlicher--als-du-glaubst) warnen jedoch, dass solche Informationsseiten gar nicht machbar sind. Das ist richtig. Der Zugang würde zwar unterbunden, aber es kann keine sinnvolle Information dargestellt werden.

Netzzensur gefährdet andere ICT

Bundesrätin Frau Sommaruga hat die Netzzensur mit einem Zaun um ein Haus verglichen, der die meisten Leute davon abhalte ein Grundstück zu betreten. Das Bild ist trügerisch, denn im Internet ist die Sicht zwischen BetrachterInnen und Haus kryptografisch abgesichert. Dritte wie der Staat können keine Zäune im Bild erscheinen lassen. Wird das Bild gestört, erscheint bei BetrachterInnen bewusst nur eine generische Fehlermeldung, um den – in diesem Fall: staatlichen – StörerInnen keine Angriffsfläche zu bieten. Netzzensur bedeutet, Sicherheitsfunktionen anzugreifen. Das wiederum schadet sicherheitssensitiven Anwendungen wie dem elektronischem Ausweis (SuisseID/SwissID), dem elektronischen Patientendossier, E-Banking- und auch E-Voting.

Netzzensur hält Spielsüchtige nicht auf

Spielsüchtige haben einen Drang zum Spielen: Wir kennen das von Alkohol-, Tabak- und Drogensüchtigen. Diese Menschen sind derart betroffen, dass sie den Mehraufwand nicht scheuen, um an die Suchtmittel zu gelangen. Sie passen ihr Verhalten an, um nicht aufzufallen, und nehmen gerne Umwege in Kauf. Ganz ähnlich verhält sich das bei der Spielsucht. Wird ein Spielsüchtiger in der Schweiz landesweit gesperrt, so ist anzunehmen, dass dieser auch den Weg ins Ausland und ins Internet findet, um dort seiner Spielsucht nachzukommen.

Internetzensur, wie sie in der Schweiz vermutlich anfangs eingesetzt wird, beruht auf DNS-Sperren, und ist sehr leicht zu umgehen. Es reicht, einen anderen DNS-Server in den Netzwerkeinstellungen einzurichten, um auf die eigentlich gesperrten Angebote zuzugreifen. Zudem kann mit dem Opera-Browser sehr einfach eine VPN-Verbindung ins Ausland eingerichtet werden. Alternativ können Webproxys oder der Tor-Browser genutzt werden, um Netzzensur zu umgehen (vgl. SRF-Podcast: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=a7fee7ff-cb0c-4571-bae7-68e3122b16bd).

Effektive Netzzensur bedeutet maximalen Kollateralschaden

In der bereits veröffentlichen Verordnung (Entwurf) zum Geldspielgesetz steht, dass die Schweiz Netzzensur nach dem «Stand der Technik» zu betreiben habe: Falls die Verwaltung also beschliesst, dass DNS-Zensur die Wirkung verfehlt, und daher auch IP-Adressen zu sperren oder gar VPN- und Tor-Verbindungen zu stören sind, erreichen wir in der Schweiz Zustände wie in China, Iran und Saudi-Arabien. Es ist dann zwar nicht mehr so einfach für SpielerInnen und Süchtige die Netzzensur zu umgehen, dafür werden aber die Rechte von unbeteiligten Dritten im höchstem Masse eingeschränkt, da massives Overblocking stattfinden wird. Wie schnell sich Overblocking manifestiert, konnte der CCC bereits an zwei Schweizer Institutionen zeigen, die sich (einst) für Netzzensur entschieden haben: Der Universität Fribourg (2017) und der Universität Zürich (2014) (vgl. VICE-Artikel: https://www.vice.com/de_at/article/78qqvg/ein-hacker-skizziert-die-noch-junge-geschichte-der-netzzensur-an-schweizer-unis-ch).

Einfach zu umgehende Zensur, wie sie in der Schweiz anfangs zum Einsatz kommen wird, hat also keine Wirksamkeit: Sowohl professionelle ZockerInnen als auch Süchtige werden sie im Nu unterlaufen.

Verschlüsselte Verbindungen zu stören, gefährdet uns alle

Netzzensur hat aber auch einen ganz anderen Effekt, den die Befürworter nicht verstehen: Die meisten Webseiten im Internet sind heute nur noch verschlüsselt über HTTPS zugänglich. Dies trifft auch auf ausländische Geldspiele im besonderen Ausmass zu, weil dort Login- und z. B. Kreditkartendaten zu schützen sind. Kommt das Geldspielgesetz am 10. Juni durch, bedeutet dies, dass in der Schweiz BürgerInnen zunehmend die Erfahrung machen werden, dass sie auf gefälschte Seiten kommen. Ausländische Geldspielseiten, die mit HTTPS geschützt sind, werden beim Zugriff zu einer Fehlermeldung führen. Klicken BürgerInnen diese Fehlermeldung nun einfach weg, hat das über längere Zeit den Effekt, dass diese das auch bei anderen Diensten – wie E-Banking und E-Voting – machen (vgl. dazu Intervention von Hernâni an einer Podiumsdiskussion in Luzern, ab 1h7m45s: https://youtu.be/k2qjt1nTVoU?t=1h7m45s). Die ohnehin bei IT-Themen schon verunsicherte Bevölkerung soll nun auch noch den Umgang mit staatlichen Fälschungen im Internet lernen.

Diese Entwicklung ist fatal: Wenn sich BürgerInnen daran gewöhnen, dass in der Schweiz Webseiten mit Fehlermeldungen quittiert werden, so wird es für Phisher und (ausländische) Geheimdienste auch einfacher, bei anderen Webseiten – namentlich beim E-Banking oder bei E-Voting – gefälschte Webseiten zu betreiben. Erlaubt es ein Browser, werden einige BürgerInnen diese Fehlmeldung wegklicken und sich auf gefälschte Webseiten begeben, so wie sie dies von Geldspiel-Seiten her kennen. Der potenzielle gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Schaden steht in keinem Verhältnis zu den hypothetischen Mehreinnahmen für den Schweizer Geldspielbereich.

Ein NEIN zum Geldspielgesetz für ein besseres Gesetz ist nötig

Zusammengefasst: Netzzensur ist ineffektiv für den vorgesehen Zweck, ZockerInnen und Süchtige vom Zugang zu nicht-konzessionierten Geldspielangeboten abzuhalten – ausser es wird zu drakonischen Massnahmen gegriffen, welche die Netzneutralität in der Schweiz so massiv verletzten wie dies in China, Iran oder Saudi-Arabien praktiziert wird. Zudem schafft Netzzensur den fatalen Effekt, ernstzunehmende Fehlermeldungen im Internet nicht ernstzunehmen und – bei Browsern die dies zulassen – gefährliche Ausnahmen zuzulassen. Die GewinnerInnen dieser Entwicklung, welche die Bestrebungen unterlaufen, das Internet sicherer zu machen, sind – einmal mehr – Geheimdienste, Phisher und andere Kriminelle. Das Geldspielgesetz entpuppt sich als Unsicherheitsgesetz.

Der CCC-CH fordert die Schweizer BürgerInnen entsprechend auf, das Geldspielgesetz klar und deutlich abzulehnen, damit das Parlament rasch eine bessere Lösung findet. Diese neue Fassung soll sowohl Spielerschutz auf ausländischen Geldspielseiten sicherstellen als auch das Schweizer Internet nicht in ein eigentliches Swissnet verwandeln, das als staatlich gefälschtes Internet Schweizer Prägung grossen Schaden für Zivilgesellschaft und Wirtschaft bringt, denn mit zunehmender Eskalationsstufe, ausländische Inhalte – und später mit grosser Begehrlichkeit weitere Inhalte – abzuschotten, wird der Kollateralschaden immer grösser.


Kontakt

Chaos Computer Club Schweiz
Hernâni Marques, Vorstand und Pressesprecher CCC-CH
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